27.11.2023 - TOP 250 Germany inside

Recruiting aus dem Ausland

Erstes Bild von Recruiting aus dem Ausland Auslandsrecruiting ist für viele Betriebe DAS Überlebensthema der nächsten Jahre. Wolfgang Nickel ist mit Herzblut Gastronom und Hotelier in der Gemeinde Osternienburger Land in Sachsen-Anhalt. 2016 gründete er die Personalvermittlungsagentur AuLiD – Ausbildung und Leben in Deutschland. Inzwischen kamen bereits mehr als 5.000 Auszubildende über AuLiD nach Deutschland.

Der vollständige Artikel erscheint in TOP 250 Germany inside Ausgabe 2-2023.

TOP 250 Germany INSIDE: Welche Voraussetzungen müssen die angehenden Azubis mitbringen, die sich bei Ihnen bewerben?
Wolfgang Nickel:
Wir verlangen Abitur und ein B1-Sprachzertifikat vom Goethe-Institut.

Worauf achten Sie ferner bei der Auswahl der Bewerber?
Nickel:
Ich führe ein Bewerbungsgespräch per Videocall. Dabei achte ich darauf, ob die jungen Leute tatsächlich zur Ausbildung in einem bestimmten Beruf nach Deutschland wollen und nicht nur irgendwie versuchen, an ein Visum für Deutschland und den Schengenraum zu gelangen, und dann, sobald sie hier sind, verschwinden. Sowas passiert leider. Aber man bekommt ein Gefühl dafür. Die Leute sind jung – wenn man mit ihnen spricht und sie ins Erzählen kommen, kann man das schon ganz gut heraushören, ob sie wirklich zu Ausbildungszwecken nach Deutschland wollen. Wenn sie zum Beispiel nichts über Deutschland wissen, kaum über ihre zukünftige Arbeit in der Hotellerie sprechen, aber ihre Tante in Berlin erwähnen, dann ist Vorsicht geboten. Wenn ich nicht überzeugt bin, lehne ich die Bewerbung ab.

Wie viel Zeit vergeht von der Anfrage eines Hoteliers bis zur Einreise?
Nickel:
Wir halten die Leute vor – wenn sich also ein Hotel an AuLiD wendet, gibt es schon passende Bewerber vorrätig. Ich versuche im Vorfeld, beide Seiten und ihre Bedürfnisse einzuschätzen, damit sie möglichst gut zusammenpassen. Die Arbeitgeber machen dann einen Videocall mit den Bewerbern und sagen Ja oder Nein. Sie können auch noch weitere Bewerber anhören. Sie können sie schonmal sehen und ihr Deutsch hören. Das Hotel macht dann einen Arbeitsvertrag mit konkretem Datum und wir kümmern uns um die Einreiseformalitäten. Bis zur Erteilung des Visums dauert es unter dem Strich etwa acht Wochen.

Woran kann man als Hotelier erkennen, dass man es mit einer seriösen Vermittlungsagentur zu tun hat?
Nickel:
Stellen Sie Fragen, googeln Sie. Wenn man Ihnen alles umsonst anbietet, womöglich inklusive Reisen ins Heimatland usw. ist das unseriös, denn wer bezahlt das alles? Der Bewerber, der von den Agenturen ausgebeutet wird. Fragen Sie, woher die Leute kommen. Ich nehme von den Bewerbern nichts, ich lasse mich ausschließlich von den Arbeitgebern bezahlen.

Was kostet Ihre Dienstleistung? Wer zahlt was?
Nickel:
Ich nehme 1.200 Euro Vermittlungsgebühr. Darin enthalten sind die Beratung, ein Ansprechpartner für die drei Jahre Ausbildungszeit, Logistik, die Formalitäten der Einreise, wir informieren in Form eines Kontos regelmäßig über den Stand der Vermittlung und kümmern uns um die Anmeldung bei der Krankenkasse.
Das Hotel bezahlt den Flug für den Azubi und lässt sich dieses Geld in kleinen Raten vom Azubi zurückerstatten. Der Arbeitgeber muss darüber hinaus die Kosten für Unterbringung und Essen sowie Gehalt mindestens auf Bürgergeldniveau bezahlen. Drittstaatler dürfen ja keine deutschen Sozialleistungen in Anspruch nehmen.
Die Azubis selbst zahlen die Kosten für ihr Visum und den Sprachkurs im Heimatland sowie ihren Flug nach Deutschland in der Form, dass sie den Betrag in kleinen Raten an das Hotel zurückzahlen. Dass sie darüber hinaus ihre Familie im Heimatland mit einem kleinen Geldbetrag unterstützen, ist allseits gewollt.

Was sollte man als Hotelier bedenken, wenn man Drittstaatler als Auszubildende einstellt?
Nickel:
Man sollte wissen, dass die Azubis aus einem anderen Kulturkreis kommen. Die ersten drei Monate sind entscheidend. Was da verpasst wird, ist schwer aufzuholen. Machen Sie als Hotelier zum Beispiel einen Termin mit den jungen Leuten, wann Sie deren Zimmer inspizieren dürfen. Lüften und Heizen, damit kennen sie sich nicht aus, da sie im Heimatland keine Heizung haben. Mülltrennung, Flaschenrückgabe – solche Dinge. Alles, was man so landläufig unter deutscher Gründlichkeit versteht, das müssen sie erst lernen. Man muss sie nicht auf Händen tragen, aber ein bisschen an die Hand nehmen schon. Man muss sich kümmern. Die Azubis fühlen sich dadurch auch nicht belästigt. Die kennen das meist schon aus ihren WhatsApp-Gruppen. Viele kennen sich aus dem Sprachkurs und kommunizieren miteinander.

Worauf achten Sie bei Ihren Auftraggebern?
Nickel:
Ich achte auf den Umgangston in den Betrieben. Ich bin lange genug selbst Gastronom, um sofort zu merken, wenn da etwas nicht stimmt. Wenn ich Bauchschmerzen habe, lehne ich ab. Die Hotels, in die ich vermittle, besuche ich alle, nicht mehr alle vorher, aber innerhalb der drei Lehrjahre auf jeden Fall. Mir ist es wichtig, dass die jungen Menschen in gute Hände kommen. Ich beurteile auch den Umkreis der Betriebe, per Google. Denken Sie an das Beispiel Rostock-Lichtenhagen. Wenn ich weiß, dass es im Ort zum Beispiel Fremdenfeindlichkeiten gab, dann frage ich und spreche die Auftraggeber auf die Probleme an, und wenn sie mein Unbehagen ausräumen können, gut. In Rostock hat sich die Situation in der Vergangenheit nämlich sehr gut entwickelt. Ein Hotelier, mit dem ich mal zu tun hatte, hat seinen Küchenleiter rausgeworfen, weil der zu weit rechts stand und fast zwölf ausländische Azubis vergrault hatte. Gute Entscheidung – auch mutig in diesen Zeiten, aber richtig!

Was tun Sie bei auftretenden Problemen?
Nickel:
Ich bleibe mit den Azubis per WhatsApp in Kontakt. Die jungen Leute sagen mir, falls zum Beispiel mit der Lohnabrechnung etwas nicht stimmt oder sonst etwas nicht passt. Ich lasse mir Datenschutzbefreiungen geben, damit ich auch sensible Daten wie Lohnabrechnungen einsehen kann. Wenn jemand ausgebeutet werden würde, würde ich einschreiten. Das passiert selten. Betrügereien gibt es, aber wenn man sich kümmert und Erfahrung hat, erkennt man vieles rechtzeitig. Einmal bekam ich die Meldung über zudringliches Verhalten des Hoteliers – da bin ich eingeschritten, direkt mit IHK und Polizei.
Wenn ich von Problemen erfahre, versuche ich, mich zu kümmern – auf beiden Seiten. Wenn jemand den Ausbildungsplatz wechseln muss, helfen wir auch wenn möglich, so dass niemand zurückgeschickt wird und das Hotel einen anderen Azubis bekommt. Wir bemühen uns natürlich immer um ein möglichst gutes Match zwischen Hotel und Azubi, damit sie auch zusammenpassen und die Lehre abschließen und bleiben. Die positiven Erfahrungen überwiegen stark, sonst würde ich das nicht schon so lange machen.

Wie klappt es mit den Behörden?
Nickel:
Manche Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit haben es noch nicht so richtig verstanden, wie ernst die Lage ist, und stimmen einer Einreise nicht zu, weil sie wohl bei sich vor Ort zu viele Arbeitslose sehen. Im Ruhrgebiet zum Beispiel passiert uns das öfter, aber darüber rege ich mich nicht mehr auf, das kostet nur Energie. Dann mache ich eben da weiter, wo es besser klappt. Ein Riesenproblem ist natürlich der Fachkräftemangel auch bei den Verwaltungen. Die sind auch am Limit. Die sagen mir, Herr Nickel, bringen Sie mir 40 Verwaltungsfachleute, dann können wir schneller arbeiten.

Was kann man tun?
Nickel:
Ich glaube, das Mitarbeiterproblem wird das wichtigste Thema der nächsten Jahre zum Überleben sein, in allen Bereichen. Aber wir müssen über den Tellerrand schauen. Wir müssen umdenken und flexibler werden. Wenn 2,9 Azubis pro Ausbilder vorgeschrieben sind, ist das schön, aber wenn wir die Ausbilder nicht haben? Man kann sagen, der Schlüssel ist für eine gute Ausbildung wichtig und bleibt, dann kann man weniger ausbilden oder man verändert ihn. Mit sturem Beharren auf Regeln kommen wir nicht weiter.
Ich bringe auch gerne Azubis schon ein Vierteljahr früher nach Deutschland. Sie arbeiten schonmal im Betrieb mit, werden auch entlohnt und gehen zur Berufsschule. Wenn dann der klassische Ausbildungsstart ansteht, werden sie in die erste Berufsschulklasse eingeschult und legen los. Sie haben dann schon ein paar Wochen oder Monate Eingewöhnung hinter sich und starten in der Regel erfolgreicher. Manche ziehen dann sogar ihre Prüfung entsprechend vor. Sie verstehen schon viel besser deutsch und haben es insgesamt leichter. Die IHKs sagen mir immer, das ginge nicht, aber ich habe viel geredet und das schon öfter durchgesetzt. Außerdem ist es logistisch viel einfacher, die jungen Leute nicht alle zur selben Zeit in Deutschland einzufliegen. Wie gesagt, es muss ein Umdenken her! Es ist schon nicht gelungen, die Goldgräberstimmung von 2015/16 zu nutzen, um damals viele der Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. Gesetze, Bestimmungen, Behörden, da gab es einfach zu viele Hürden. Vieles ließe sich politisch optimieren, aber Jammern hilft nicht, wir müssen sehen was möglich ist.

Der vollständige Artikel erscheint in TOP 250 Germany inside Ausgabe 2-2023.